Kurt Tallert, bekannt als Retrogott und prägende Figur der deutschen Rap-Szene, wagte mit seinem literarischen Debüt „Spur und Abweg” den Schritt in die Schriftstellerei. Bei einer beeindruckenden Lesung in der Gemeindebücherei Kastl teilte er nicht nur Auszüge aus seinem Buch, sondern auch persönliche Einblicke in die Geschichte seiner Familie – eine deutsch-jüdische Familie zwischen Überleben, Identitätsverlust und dem Ringen mit der Vergangenheit.
Ein Buch, das Vergangenheit und Gegenwart vereint.
Kurt Tallerts Buch befasst sich mit der Verfolgungsgeschichte seiner Familie, insbesondere mit den Erlebnissen seines Vaters, der als sogenannter „Halbjude“ die Schrecken der NS-Zeit überlebte. Die Lesung gliederte sich in zwei Teile: Im ersten las Tallert eindringliche Passagen aus seinem Buch, im zweiten stellte er sich den Fragen des Publikums. Er begann mit dem Kapitel „Das Absurde“, das die täglichen Einschränkungen und Kontrollmechanismen der NS-Zeit thematisiert. Hier schilderte er die absurde Regelung, dass sein Vater das Radio nur unter der Aufsicht seiner „arischen“ Mutter nutzen durfte – ein Umstand, der von der Gestapo überwacht wurde. Eine weitere Passage, „Ettersberg 1992 – Verzeiht mir meine Kinder – aber kämpft“, berührte das Publikum besonders. Darin beschreibt Tallert seine Kindheitserinnerungen an einen Besuch im KZ Buchenwald als Sechsjähriger. Die Wucht dieses Erlebnisses prägte sein Verständnis für die Traumata seines Vaters. Tallert erzählte auch vom beruflichen Werdegang seines Vaters, der nach dem Krieg als Journalist und später als SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag arbeitete. Seine Erzählungen deckten auf, wie er sich als Opfer der NS-Zeit mit der Rückkehr ehemaliger NS-Funktionäre in Führungspositionen auseinandersetzen musste – eine Situation, die ihn zutiefst verstörte. Zum Abschluss las Tallert über das tragische Schicksal seiner Urgroßmutter Berta, die in einem Konzentrationslager ums Leben kam.
Ein Dialog mit der Vergangenheit
Auf die Frage, was ihn dazu bewegt habe, die Geschichte seiner Familie in Buchform zu verarbeiten, antwortete Tallert: „Ich entdeckte vor ein paar Jahren Tagebücher, Notizbücher, Briefe und Audioaufnahmen meines Vaters. Diese Dokumente eröffneten mir Zusammenhänge, die ich zuvor nur erahnen konnte. Mein Vater hatte festgehalten, dass er ‚über die Absurdität der Nazis‘ schreiben wollte. „Dieses Buch ist mein Versuch, seinen Wunsch zu erfüllen.” Tallert sieht seinen Vater als Co-Autor des Werks, da dessen Texte den Ausgangspunkt seiner literarischen Auseinandersetzung bilden. Er beschreibt „Spur und Abweg” als einen Raum der Trauer und als private Gedenkstätte. Die Niederschrift habe ihm geholfen, eine tiefere Verbindung zu seinem verstorbenen Vater herzustellen und den Dialog mit ihm aufrechtzuerhalten. Mit einem Lächeln ergänzte Tallert: „Was ich meinem Vater heute sagen würde? Erst einmal: ‚Danke!‘ Aber dann auch: ‚Wie konntest du in Deutschland bleiben?‘”
Eine Lesung, die Hoffnung und Erinnerung verbindet.
Tallert bedankte sich abschließend beim Büchereiteam der Gemeindebücherei Kastl für die Möglichkeit, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Lesen gegen das Vergessen” aus seinem Buch vorzulesen. Er würdigte die Bedeutung solcher Initiativen, die nicht nur an die Vergangenheit erinnern, sondern auch Hoffnung auf eine bewusste und reflektierte Zukunft geben.
Die Lesung endete mit einem kräftigen Applaus des Publikums – ein Zeichen dafür, wie sehr Tallerts Worte berührt und inspiriert haben. „Spur und Abweg” ist weit mehr als ein Buch – es ist ein Stück gelebter Erinnerungskultur.