Bei Vortragsabenden des Freundeskreises Weiden der Evangelischen Akademie Tutzing sprechen üblicherweise Experten aus Wissenschaft, Religion, Politik oder kulturellen Institutionen über wichtige Themen der Gesellschaft. Diesmal war es völlig anders. Der Schauspieler Peter Kampschulte aus Hof inszenierte in einem Affenkostüm Franz Kafkas‘ Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“. Kampschulte referierte nicht nur die Aussagen des Dichters, sondern streute dazwischen immer wieder Affenlaute wie „hua, hua“ oder „ho, ho“ ein, zog Grimassen mit offenem Mund oder gefletschten Zähnen. Mit gekrümmten Fingern der Greifhand des Schimpansen begrüßte er Zuhörer und agierte am Rednerpult. „Rotpeter“ hatte Kafka seinen Affen genannt, der in der Erzählung, ohne sich äußerlich zu verändern, allmählich die Wesensmerkmale und die Fähigkeiten eines Menschen annimmt. Kafka lässt Rotpeter vor einer fiktiven Akademie über seine schrittweise Verwandlung zum Menschen berichten. Vorausgegangen waren die Gefangennahme des Affen durch Jäger des Zirkus Hagenbeck in Afrika und der Transport im Käfig auf einem Schiff. In der Erzählung beginnt der Affe noch auf der Fahrt Verhaltensweisen der Seeleute nachzuahmen. Er lernt schnell, auch das Saufen und Rauchen und beginnt sogar bald zu sprechen. „Nein, Freiheit wollte ich nicht, nur einen Ausweg“ lässt Kafka den Affen referieren und deutet damit schon die ersten Interpretationsmöglichkeiten dieser Geschichte an. In einem Varieté macht Rotpeter Karriere und vollendet dort seine innere Menschwerdung. Laut Kafka hat Rotpeter die „Durchschnittsbildung eines Europäers“ erreicht. Nach Beendigung der szenischen Lesung und Darstellung der Erzählung diskutierte Schauspieler Kampschulte mit dem Publikum die verschiedensten möglichen Interpretationen der Erzählung von Kafka. Es zeigte sich dabei ein breites Spektrum von möglichen Aussagen. Sie reichen von der Darstellung von Irrwegen der Menschheitsentwicklung bis hin zu einem symbolischen Vergleich mit Elementen in der Geschichte des Judentums, denn Kafka war Jude. Auch das Verhältnis von Tier und Mensch spielt eine große Rolle. Rotpeter traf sich regelmäßig in der Nacht mit einer dressierten Schimpansin. Und wiederholt geht es in der Erzählung um den Begriff der Freiheit. So sagt er unter anderem im Text „mit Freiheit betrügt man sich unter Menschen allzuoft“.