Veröffentlicht am 24.10.2023 13:10

Der ländliche Raum verliert seinen Fürsprecher bei den Grünen

Mit Katharina Schulze als Solo-Spitze der Grünen im Landtag verschieben sich die innerparteilichen Gewichte. Der ländliche Raum ist nicht gerade Schulzes Top-Thema. Und auch Schwarz-Grün in Bayern ist nun „toter” als je zuvor.

von Umlauft, Jürgen [jum] (JUMKOR@AOL.COM)

Winke, winke: Nach dem Abschied von Ludwig Hartmann (Zweiter von links) aus der Grünen-Doppelspitze ist nun Katharina Schulze (Zweite von rechts) die alleinige Fraktionschefin der Landtagsgrünen. Damit verschieben sich aber auch die regionalen Gewichte. (Archivbild: Karl-Josef Hildenbrand)
Winke, winke: Nach dem Abschied von Ludwig Hartmann (Zweiter von links) aus der Grünen-Doppelspitze ist nun Katharina Schulze (Zweite von rechts) die alleinige Fraktionschefin der Landtagsgrünen. Damit verschieben sich aber auch die regionalen Gewichte. (Archivbild: Karl-Josef Hildenbrand)
Winke, winke: Nach dem Abschied von Ludwig Hartmann (Zweiter von links) aus der Grünen-Doppelspitze ist nun Katharina Schulze (Zweite von rechts) die alleinige Fraktionschefin der Landtagsgrünen. Damit verschieben sich aber auch die regionalen Gewichte. (Archivbild: Karl-Josef Hildenbrand)

Es war die erste dicke Überraschung der neuen Legislaturperiode: Die Grünen geben im Landtag ihr fast schon heiliges Postulat der geschlechtergemischten Doppelspitze auf. Alleinige Fraktionschefin ist nun Katharina Schulze. Nach zehn Jahren im Amt verabschiedet sich Ludwig Hartmann auf eigenen Wunsch als männliche Hälfte des Spitzenduos ins Amt des Landtagsvizepräsidenten. Sie habe sich nicht lange überlegen müssen, ob sie die Verantwortung alleine stemmen wolle, hat Schulze nach ihrer Wahl gesagt. Am Selbstbewusstsein zur Übernahme von Führungsämtern hat es der heute 38-Jährigen noch nie gemangelt. Sei es als Schülersprecherin an ihrem Gymnasium, als Vorsitzende der Münchner Grünen mit 25 oder als Co-Fraktionschefin im Landtag mit 31.

Nach offizieller Lesart ist das Ende der Doppelspitze eine Lehre aus der Landtagswahl am 8. Oktober. Viertstärkste Kraft sind die Grünen nur noch, da habe man sich zur besseren Wahrnehmbarkeit auf eine personelle „Fokussierung” geeinigt, erläuterte Schulze. Aber was bedeutet das für die Grünen und für die Landespolitik? Zunächst einmal eines: Schwarz-Grün in Bayern ist mit Schulze als führender Koalitionspartnerin noch toter, als es nach den Radikalabgrenzungen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Wahlkampf ohnehin schon war. Es ist ein offenes Geheimnis in München, dass Söder bei allen inhaltlichen Differenzen zu Hartmann einen persönlich guten Draht hat, zu Schulze eher weniger bis gar nicht. CSU-Generalsekretär Martin Huber diagnostiziert zudem einen „Linksrutsch” bei den Grünen.

Regionale Gewichte verschieben sich

Einer wie Huber muss das wohl sagen, echte Anzeichen dafür gibt es aber nicht. Denn Schulze ist – inzwischen – „Reala” durch und durch und bestimmt keine linke Ideologin. Als innenpolitische Sprecherin der Fraktion leitet sie grüne Polizeikongresse, die alles andere als linkes „Bullen-Bashing” sind, und in der Migrationspolitik betont sie zwar stark die Chancen, die in der Zuwanderung stecken, hebt aber auch auf die „Menschenpflichten” der Zuwanderer bei der Integration ab. Alle müssten sich an die Regeln des Zusammenlebens halten, andernfalls müssten Strafen „konsequent durchgesetzt und durchgeführt werden”, meinte Schulze kürzlich.

Allerdings verschieben sich mit der alleinigen Frontfrau Schulze die regionalen Gewichte innerhalb der Grünen. Bei der Landtagswahl hat die Partei vor allem in den städtischen Milieus gepunktet, in München war sie klar stärkste Kraft. Schulze repräsentiert diese Wählerschaft wie kaum eine andere. Je flacher das Land, desto einstelliger dagegen die Ergebnisse der Grünen. Mit dem Abschied Hartmanns aus dem politischen Tagesgeschäft verliert der ländliche Raum nun auch noch seinen prominentesten Fürsprecher bei den Grünen.

Hartmann hat zwar mit 44,6 Prozent haushoch das Direktmandat im Stimmkreis München-Mitte gewonnen, aber er ist trotzdem der Grüne in den Führungspositionen der Partei, der glaubhaft die Belange des Landes vertritt und einen Gesprächsfaden zur Bauernschaft hat. Hartmann ist im Tross der politischen Almbegehungen dabei und hält dort ohne große Ideologie die grüne Fahne hoch. Er redet nicht nur mit Öko-Landwirten, er besucht bewusst konventionell wirtschaftende Höfe, um den Bauern dort geduldig die Chancen grüner Agrarpolitik zu erläutern. Er weiß, dass ihn die Bauern deshalb nicht wählen, aber es geht ihm um eine Versachlichung der oft emotional aufgeheizten Umwelt- und Agrardebatten und das Anstoßen von Umdenkprozessen. An seiner Seite hat Hartmann den Bauernverband zum Beispiel im Kampf gegen den „Flächenfraß”. Da treten hohe Verbandsfunktionäre sogar gemeinsam mit ihm auf Veranstaltungen auf. Ob sie das auch mit der schrilleren Schulze tun werden?

Becher der Gegenbeweis

Die Lücke, die Hartmann mit seinem Wechsel in das repräsentative Amt des Landtagsvizepräsidenten hinterlässt, könnte der neue Fraktionsvize Johannes Becher schließen. Der 35-Jährige ist im oberfränkischen Münchberg geboren, aufgewachsen ist er in Moosburg. Das liegt am Rande des Münchner Speckgürtels, das Hinterland der Kleinstadt an der Isar ist aber agrarisch-dörflich geprägt. Becher, im Landtag bislang vor allem als engagierter Sachwalter der Kommunen aufgefallen, ist so etwas wie der lebende Gegenbeweis zur CSU-Behauptung, dass den Grünen das „Bayern-Gen” fehle. Als einer der wenigen Abgeordneten hält er seine Parlamentsreden mundartlich, sein Auftreten ist bodenständig. Ob er sich als Vize neben Schulze profilieren kann, wird sich zeigen.

Bei den Grünen wird die Fokussierung auf Schulze als Signal für die Spitzenkandidatur 2028 gewertet. Schulze ist dann 43 und hat damit das in der Verfassung verankerte Mindestalter für Ministerpräsidenten erreicht. Allerdings ist schon 2026 Kommunalwahl, und die Münchner Grünen haben gerade die natürliche Herausforderin für SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter verloren. Katrin Habenschaden, bisher Vize-OB, wechselt ins Management der Deutschen Bahn. Freie Fahrt also für die in Schwabing lebende Schulze auf den Chefsessel im Münchner Rathaus? Schulze lächelt die Frage weg: „Im Freistaat gibt es genug zu tun für mich!” Das klingt ein wenig nach Söders Standardsatz zu seinen Kanzlerambitionen 2021: „Mein Platz ist in Bayern!” In Stein gemeißelt war der bekanntermaßen nicht.

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